Wort für den Tag

(La traduction en français se trouve après la prédication allemande.)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Predigt Ostersonntag

Predigttext: 1. Kor 15.1-11
1 Ich erinnere euch aber, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, 2 durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet. 3 Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; 4 und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; 5 und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. 6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. 9 Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. 10 Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. 11 Ob nun ich oder jene: So predigen wir, und so habt ihr geglaubt.

Liebe Gemeinde,

Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden! Heute ist der große Freudentag unseres Glaubens. Es ist Ostern, der Tag an dem alles begann. Das Grab leer, der Tod bezwungen, aber das Leben wird bleiben. Der auferstandene Herr ist sichtbar vor den Augen der Menschen. Und die sichtbare Gemeinschaft des Glaubens an den auferstandenen Christus sehe ich hier sitzend vor mir in diesem Raum. Wie schön ist das!

Dass der Glaube etwas Besonderes ist, wird an den großen Festen immer sehr deutlich. Aber es gibt schon seltsame Erkenntnisse, gerade in Bezug auf Ostern. Ich habe mal aus Interesse gegoogelt, um zu schauen, wo denn nun eigentlich das Grab Jesu zu finden ist.

Ich fand nicht einen, nicht zwei oder drei, nein, ich fand mindestens acht oder neun Standorte. Neu aber war mir ein Grab in Kaschmir, ein Familiengrab in Jerusalem, neu waren Mutmaßungen über ein Grab in England. Verbunden sind diese Ergebnisse alle mit Geschichten, die mit unseren Geschichten der Bibel sehr wenig zu tun haben. Das Grab Jesu hat bisher noch niemand gefunden. Ja, es gibt eine Grabesstelle in Jerusalem, aber seine Echtheit ist nicht wissenschaftlich belastbar. Vielleicht brauchen wir dieses Grab bzw. seinen genauen Standort auch gar nicht, denn: Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden.

Die Frauen haben das zuerst so gesehen, wie wir vorhin in der Lesung gehört haben. Und sie haben es dann, nach anfänglichem Erschrecken und ehrfürchtigem Verstummen, in die Welt getragen. Die Männer, denen sie es erzählten, haben es erst nicht geglaubt und mussten sich selbst davon überzeugen, nach dem Motto: Was die Frauen da schon erzählen, das kann ja nicht wahr sein. Irgendwann haben es wohl auch die Männer verstanden und die Frohe Botschaft wurde weitergegeben, immer mehr Menschen begeisterten sich dafür. Die Menschen sahen Gott, sahen Jesus Christus nun mit anderen Augen. Sie glaubten schließlich an ihn und seine Auferstehung und erzählten anderen davon. Der christliche Glaube breitete sich aus; sonst säßen wir heute nicht hier.

Mit dem Sehen aber ist das ja immer so eine Sache. Zwei Menschen sehen das gleiche Ereignis und beschreiben es im Nachhinein doch unterschiedlich. Wie kann das sein?

Ich denke, da spielen persönliche Erfahrungen mit hinein und auch das Selbstvertrauen, das man hat oder nicht hat in das eigene Sehen, das Behalten des Gesehenen und die Fähigkeit es korrekt wiederzugeben. Und auch das Gegenüber, das einem zuhört, wenn man das Gesehene weitergibt, bringt ja eigene Erfahrungen mit, Zweifel und Wahrheiten. Und der Mensch hat nicht immer die Fähigkeit zum neutralen Zuhören ohne gleich zu urteilen, ob das Gesagte wahr sein kann oder nicht. Also haben wir bereits zwei Unsicherheitsfaktoren beim Erzählenden und dem Zuhörenden. Ähnlich erging es wohl auch den Frauen in den Geschichten vom leeren Grab. Selbst sie sind sich ja offensichtlich erst einmal unschlüssig. Haben Sie nun das leere Grab gesehen, oder war das alles nur ein Traum?

Mir ist in diesem Zusammenhang das alte Kinderversteckspiel: „Weg bin ich!“ eingefallen. Das kennen Sie bestimmt!?

Es lässt sich vor allem mit den ganz kleinen Kindern wunderbar spielen. Man sitzt sich dabei gegenüber, dann geht es ans Verstecken. Sie ahnen, was jetzt kommt! Für das Kind reicht es, sich einfach die Augen zuzuhalten mit den Worten: „Ich bin weg!“. Das Kind quietscht vor Vergnügen, dann wird es still und in seinem Bewusstsein ist es weg, nicht mehr zu sehen.

Als Erwachsene sitze ich daneben, freue mich an dem kindlichen Spaß und dem so einfachen Herangehen an die Dinge. Zugleich aber wundere ich mich: die Kinder verstehen gar nicht, dass es zwar bei Ihnen funktioniert, bei mir aber nicht. Halte ich mir nämlich die Augen zu, dann bleibe ich da, selbstverständlich auch sichtbar vor ihren Augen. Die Kinder, liebe Gemeinde, haben offensichtlich ein sehr individuelles, sehr subjektives Herangehen an das Spiel und empfinden es anders als wir Erwachsenen und empfinden sich als nicht mehr sichtbar, wenn sie sich die Augen zuhalten.

Vielleicht probieren wir das mal für einen kleinen Moment aus. Halten Sie sich doch bitte einmal mit der Hand die Augen zu und spüren Sie in sich hinein: was hören sie, was denken sie? (kurze Stille)

Jetzt öffnen wir wieder die Augen und sind wieder da!

Ja, wir Erwachsenen sind wohl mehr realitätsbezogen und wissen schon, dass wir noch da sind, auch mit geschlossenen Augen! Zugleich wissen wir und spüren, da neben mir atmet noch jemand. Ich bin nicht allein. Aber ich bin mit geschlossenen Augen der Welt ein wenig enthoben, wie in einem parallelen Raum des Lebens. Ich kann mich so etwas herausnehmen und mich mehr auf mich konzentrieren ohne die vielen äußerlichen Einwirkungen. Nicht umsonst halten wir uns die Hände vor die Augen, bei unerträglichen Ereignissen, um die äußeren Einflüsse auf uns auszuschließen und mehr bei uns zu sein.

Das Sehen ist nicht nur für die meisten Menschen entscheidend über die Anwesenheit hier im Raum, sondern auch über die Glaubwürdigkeit bestimmter Ereignisse, nach dem Motto: Ich glaube das nur, wenn ich das selber gesehen habe.

Das kindliche Spiel hat dabei einen großen Vorteil: das Kind kann das „nicht gesehen werden“ abstellen. Wenn es genug ist mit dem Verstecken, dann werden die Hände von den Augen weggenommen und dann ist für das Kind ganz klar: „Hier bin ich wieder!“

Liebe Gemeinde! Wenn das mal im Glauben auch so einfach wäre. Das hat Paulus sicher auch gedacht. Ach, könnte ich doch einfach die Hände von den Augen der Menschen nehmen, damit sie sehen und glauben und verstehen, was da an diesem Morgen in der Frühe am Grab geschehen ist. Dann bräuchte es nicht die vielen Worten.

Denn dieser Tag, dieser Oster- und Auferstehungstag hat offensichtlich sehr unterschiedliche Reaktionen bei den Menschen ausgelöst. Ganz anders übrigens als der Karfreitag, der eindeutig und klar war, wie der Tod immer eindeutig ist. Das Leben ist das nicht.

Von den Schwierigkeiten der Auferstehung geben die biblischen Schriften nämlich ein eindeutiges Zeugnis. Erschreckte Frauen, ungläubige Jünger, spät erkennende Freundinnen und Freunde, sogar wütende Feinde des neuen Glaubens, wie Paulus einer war. Das hat sich auch über die Zeiten wenig geändert. Von wegen: Wir haben gepredigt, und ihr habt dann geglaubt. Paulus beschwört das wohl, aber gelingen will es so nicht, das weiß Paulus auch. Das Geschehen rund um Jesus Christus und die Menschen, die sich zu ihm halten, ist und bleibt eine Herausforderung. Gerade aber, weil Paulus das weiß, bemüht er sich sehr, um die Korinther noch einmal deutlich auf seine Seite zu ziehen. Er gibt dem Glauben einen neuen und beständigen Grund.

Entscheidend ist dabei für ihn das Sehen! Und das ist das eigentlich Erstaunliche daran, dahin legt er seinen Schwerpunkt. Und er tut das, obwohl er doch weiß, dass das Sehen so ambivalent ist, dass wir Menschen nur zu gerne glauben, was wir sehen, und wir ungern glauben und uns auch nicht adäquat dazu verhalten, was wir nicht sehen.

Vielleicht ist das übrigens auch der Grund, liebe Gemeinde, warum sich die Europäer als Ganzes so schwer damit tun, den Menschen auf der Flucht, die in verschiedenen Ländern gestrandet sind, wirklich mit allen Konsequenzen zu helfen. Wer das Leid und das Elend nicht gesehen hat, der kann eben die Augen davor zu machen und kann sich alles andere schönreden, also in eine andere Welt fliehen. Und je weiter die Menschen aus dem eigenen Land ferngehalten werden, desto leichter ist dieses Verschließen der Augen auch. Aus den Augen aus dem Sinn ist aber keine Lösung und leider nicht der Aufbruch in eine neue Zeit, wie Ostern das verspricht.

Aber auch wenn das Sehen so schwierig ist, betont der Apostel Paulus es als etwas ganz Besonderes. Und er tut das, weil er es selbst als heilend und lebensverändernd wahrgenommen und erfahren hat. „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin!“, schreibt er im Blick auf seine Bekehrung und seine Begegnung mit Christus vor Damaskus. Und das heißt ja nichts anderes, als dass er diese Gnade gesehen hat.

Wie, fragen Sie sich nun, hat er denn die Gnade gesehen? Davon berichtet Paulus uns auch. Er hat die Gnade gesehen in der Zuwendung zu seinem Leben, die er damals erfahren hat. Er hat sie gesehen in der Liebe, die er spürte, obwohl er nur die Verfolgung der Menschen im Sinn hatte. Er hat sie gesehen in der Vergebung für alles, was in der Vergangenheit geschehen war und im Öffnen einer neuen leuchtenden Zukunft.

Durch die Gnade, die Paulus erlebt hat, änderte sich sein ganzes Leben und er stellte sich in den Dienst, die Frohe Botschaft in die Welt zu tragen. Er hatte dabei auf seinen Missionsreisen viel Erfolg und gründete neue Gemeinden, er nahm dafür auch viel persönliches Leid auf sich, wurde beschimpft und geschlagen, kam ins Gefängnis und starb schließlich.

Es ist dann kein Zufall, dass Paulus im Predigttext die vielen verschiedenen Zeugen anführt, wobei er die Frauen dabei leider als erste Zeuginnen außen vorlässt. Paulus hängt die erste Zeugenschaft an Petrus auf, den er im Predigttext mit seinem aramäischen Namen Kephas nennt. Er hat den Auferstandenen, zumindest für Paulus, zuerst gesehen und dann auch die Zwölf. Später zeigt er sich über fünfhundert Brüdern und Schwestern auf einmal. Danach hat er sich Jakobus gezeigt schließlich allen Aposteln und ganz zuletzt hat er sich auch Paulus gezeigt. Ich denke, eine sehr persönliche Aufzählung von Paulus, die den anderen Evangeliumserzählungen widerspricht. Ich bleibe dabei, dass Jesus Christus sich zuerst den Frauen gezeigt hat, sogar ganz bewusst.

Paulus nun sieht das neue Leben, die neue Welt und die unendliche Liebe, die Gott mit diesem Tag über die Menschen ausgeschüttet hat. Durch Jesus Christus setzt sich diese Liebe durch. Und sie setzt sich durch gegen alles Leid und alles Geschrei, gegen die Schmerzen des Todes und die Verlorenheit der Armut, gegen die Einsamkeit der Flucht und das Weinen der Verlassenen. Gott ist da. Jesus Christus ist da. Das bleibt.

Das ist aber nicht immer offensichtlich. Das ist manchmal meinen Augen verborgen. Aber dafür braucht es eben die vielen Zeugen. Es ist dann, wie das Sehen mit verschlossenen Augen.

Wenn ich spüre, dass Menschen um mich sind und über alles, was mir nicht gelingt, mein Leben mittragen. Wenn ich merke, dass ich nicht allein bin, dass ich Teil einer Gemeinschaft bin. Wenn ich erfahre, dass so alles Leben von Gott aufgefangen ist und aufgefangen bleibt, dann ist Ostern wirklich vollkommen. Gemeinsam erleben wir dann, wie die Katastrophen dieser Welt das Leben nicht beenden, sondern wie wir weiter mutig unsere Wege in die Zukunft suchen. Gemeinsam erfahren wir, dass wir stärker sind als Armut und Verlorenheit, als Gewalt und Terror. Gemeinsam erwirken wir eine neue Zukunft, die uns verheißen ist, weil Gott sie uns im Miteinander schenkt.

Wo wir beisammen sind, zu zweit, zu dritt oder zu ganz vielen, da ist das Leben Jesu gegenwärtig. Da ist Christus selbst gegenwärtig. Da lebt Gott und wir in ihm. Und wo Gott lebt, da ist in Ewigkeit kein Tod und kein Verderben, sondern allein das Versprechen auf eine leuchtende Zukunft. Die Taten und Worte Jesu bleiben bestehen und vergehen nicht, Gottes Anwesenheit vergeht nicht. Stattdessen ist der Durchgang Gottes durch den Tod sogar der Garant dafür, dass Gott auch in allen Phasen eines Lebens, seien es gute, seien es böse, da ist. Das gilt für alle, die sich im Glauben mit ihm verbunden fühlen.

Diese Auferstehung Jesu ist gemeinschaftlich erfahrbar. Kommen Sie, wir probieren das noch einmal aus! Schließen Sie doch bitte noch einmal die Augen: Spüren Sie das Pochen Ihres Herzens und merken Sie, wie Gottes Herzschlag Ihrer ist und wie Sie mit verschlossenen Augen in diesem Raum nicht allein sind. Wir sind viele. Und seien sie gewiss, der Auferstandene ist mitten unter uns. Er hütet uns. Er trägt uns. Er nimmt uns sanft auf den Arm. Sein Leben ist auch das unsere. Denn wir wissen, dass unser Erlöser lebt!

Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Amen