Wort für den Tag

(La traduction en français se trouve après la prédication allemande.)

Markus 4,26-29
26 Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn einer Samen aufs Land wirft; 27 er schläft und steht auf, Nacht und Tag. Und der Same sprosst und wächst empor, er weiss nicht wie. 28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. 29 Wenn aber die Frucht es zulässt, schickt er sogleich die Sichel, denn die Ernte ist da.

Ein Kinderlied – Anfang der 90er Jahre:

Alles muss klein beginnen,
lass etwas Zeit verrinnen.
Es muss nur Kraft gewinnen
und endlich ist es groß.“

Alles muss klein beginnen.

Schau nur dieses Körnchen, ach man sieht es kaum,
gleicht bald einem Grashalm. Später wird’s ein Baum.
Und nach vielen Jahren, wenn ich Rentner bin,
spendet er mir Schatten, singt die Amsel drin.“

Träumerisch leicht klingen diese Worte. Es beginnt mit einem Staunen:

Schau nur dieses Körnchen.
So klein.
So unscheinbar.
Es ist kaum zu sehen.

Und trotzdem: Aus diesem kleinen Körnchen wird noch etwas werden. Warte nur ab. Und siehe da: Da bricht etwas hervor, aus den Tiefen der Erde. Ein Grashalm. Einer von vielen. Immer noch unscheinbar. Zerbrechlich. Der Wind wiegt ihn hin und her. Er wächst. Jahr für Jahr. Irgendwann ist es nicht mehr zu übersehen: Da wächst ein Baum. Er wird größer, zählt schließlich einundvierzig, zweiundvierzig, dreiundvierzig Ringe.

Ein Zuhause für viele Lebewesen. Wer hätte das gedacht? Wer hätte gedacht, dass aus einem Körnchen ein ganzer Baum wird? „So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehen.“, denk ich mir, und schaue aus dem Fenster:

Wie viel Körnchen da draußen wohl in der Erde liegen? Unter der Erde schlummert die Saat der Bäume, aus deren Früchten Kinder, Enkel und deren Kinder Apfelkuchen backen werden. Es liegt schon alles bereit. Die Erde birgt Zukunft. Warten ist Lebenskunst!

Schon jetzt wachsen und gedeihen landauf landab die Erdbeeren, die in wenigen Monaten den Sommer versüßen werden. Schon jetzt wachsen und gedeihen die Kürbisse, die an Herbstabenden auf der Zunge zergehen. Schon jetzt wächst und gedeiht all das, worauf ich mich – wie ein Kind – Jahr für Jahr freue. Es liegt schon alles in der Erde – wächst und gedeiht. Genauso wie das Reich Gottes.

Woran misst man Erfolge im Gemeindeaufbau?
An der Zahl der Taufen,
an der Zahl kirchlicher Eheschließungen,
an der Zahl der Gottesdienstbesucher?

Zu Gottesdiensten kann ich Menschen zwingen, kann sie zum Schänden von Synagogen anstiften, kann ihnen ein gutes Gewissen machen bei der Jagd auf Muslime, kann ihnen mit Höllenstrafen, mit dem Schwert oder mit beruflichen Nachteilen drohen, wenn sie nicht getauft, konfirmiert und kirchlich getraut sind. Alles hat es gegeben.

All dies hat es gegeben und mit all dem ist der Name Jesu Christi schlimm missbraucht und die Sache Jesu Christi mit Füßen getreten worden.

Woran misst man Erfolge im Gemeindeaufbau?

Zahlen kann man manipulieren, Menschen kann man unter Druck setzen, Bibelworte werden zur tödlichen Waffe in der Hand der Verwirrten, der Irregeleiteten und der Verführer.

Paulus sagt früh, schon in den 50er Jahren, als noch kein Evangelium geschrieben, als die Wunde von Jesu Tod noch kaum verwunden war. Paulus sagt früh: „Prüft!“ Prüft, was man sagt, prüft, was man tut. Prüft, wes Geistes Kind die sind, die euch begegnen, die euch missionieren wollen.

Christus sendet uns in alle Welt mit dem Auftrag zu taufen, zu erzählen, zu werben. Bei jeder Taufe sprechen wir die Worte, die Jesus uns gelehrt hat: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin, macht zu Jüngern alle Völker, tauft sie, lehrt sie meine Gebote halten und seid gewiss: Ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende.“ (Mt 28,18-20)

Schöne Worte, aufbauende Worte. Aber wie sensibel. Wie leicht zu missbrauchen als Warnung vor übertriebenem Eifer, als Reglement gegen den Missbrauch, als „Nein“ gegen jeden missionarischen Übereifer fällt uns Jesus Christus mit einer Warnung in den Arm und sagt: Freunde, ihr übernehmt euch!

Warten ist Lebenskunst!

Der Same schläft und wacht auf, es wird Nacht und Tag; Der Same geht auf und wächst – er weiß nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. So ist es auch mit dem Reich Gottes.

Prüfen wir davor unsere Ungeduld mit unserer Jugend. Ich werde ungeduldig, resigniert, verzweifelt. Sie haben mit 15 schon wunde Seelen, und keiner von uns Erwachsenen hat eine Arznei. „Da müsste doch endlich ein Licht aufgehen …“ – Dann fällt mir unser heutiger Predigttext in den Arm.

Ich schlafe – wenn man mich lässt – und stehe auf, es wird Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – ich weiß nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. So ist es auch mit unserer Jugend.

Prüfen wir unsere Ungeduld beim Besuch unserer Kreise, unsre Geduld beim Gottesdienstbesuch, oder beim Wachstum unserer Gemeinde. „Da müsste man doch mehr sehen, bei all dem Einsatz von uns …“ Dann fällt uns unser heutiger Predigttext in den Arm. Wir schlafen und stehen auf, es wird Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – wir wissen nicht, wie.

Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. So ist es auch mit Wachstum unserer Gemeinde.

Prüfen wir unsere Ungeduld an unserem eigenen Glauben. Er wird immer wieder durcheinander gebracht von Zweifeln.

Sehen wir das Elend in der Welt, sehen wir millionenfach unverschuldeten Tod, Kriege, Katastrophen, schreiendes Unrecht, unheilbare Krankheiten.

Und das immer wieder neue Kratzen an Wunden: Unser Glaube scheint wie Herbstlaub im Wind, wird von einer Straßenseite zur anderen gejagt, hat wenig Halt, der Sturm spielt mit ihm sein Spiel.

Wann endlich findet mein Glaube einen Halt, der bleibt, eine tief verwurzelte Gewissheit, ein festes Vertrauen?

Wir schlafen und stehen auf, es wird Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – und wir wissen nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. So ist es auch mit deinem Glauben.

Ich habe immer öfter den Eindruck, dass wir Entscheidendes übersehen und überhören. Ja, ich wünsche mir schon mehr Stille, mehr Zeit, mehr Geduld miteinander. Mehr Vertrauen in den Heiligen Geist unter uns, der im Verborgenen wirkt. Der nicht mehr braucht als einen kleinen Samen und daraus mit den Jahren und Jahrzehnten ein Weizenfeld, einen Wald zaubert, wo heute für jeden, der kurz mal vorbeischaut, nur der Wind pfeift und nichts wächst.

Hören. Schlafen. Träumen. Denken. Reden.

Das macht der Mensch. Hören und Reden. Das sind seine aktiven Handlungen. Denken und Reden ist die Frucht.

Das Hören ist der ausgesäte Samen. Dazwischen nimmt der Mensch wahr, schläft darüber und verarbeitet das Gehörte. Er selbst kann nicht alles erfassen, was im Unterbewussten passiert. Aber der Mensch hat in der Hand, dass er hört, zuhört, aufhorcht und er hat in den Händen, was er dann antwortet, wie er reagiert.

Dazwischen passiert das Wesentliche, ohne jeden Vorgang erklären zu können.

Dazwischen ist sein Innerstes aktiv, und bringt von selbst Gedanken und Impulse, Wissen und Vorurteile hervor.

Der Spannungsbogen des Gleichnisses von der selbstwachsenden Saat liegt zwischen dem Tun hier und dem Tun da. Dazwischen ist das eigene Nicht-Tun, die eigene Untätigkeit – das ist das Spannende.

Dieses Gleichnis weist daraufhin, dass der Mensch, also du und ich, wesentlich nichts machen können.

Du kannst noch so wundervoll musizieren, ob deine Musik einen anderen im Herzen erreicht und bewegt, liegt nicht an dir.

Meine Predigt kann noch so rhetorisch gelungen sein, ob sie bei dir einen neuen Gedanken freisetzt, liegt nicht an mir.

Du kannst noch so sehr die Welt verbessern, ob du die Welt damit rettest, liegt nicht an dir. Einen Impuls setzen, selbst vernünftig handeln, eben eine Saat aussäen, das können wir tun. Und das ist schon richtig viel. Ohne diese Aussaat würde es nicht weitergehen. Aber dann heißt es: Warten. Warten bis zur Erntezeit. Warten ist Lebenskunst!

AMEN