Wort für den Tag

Chère lectrice, cher lecteur! Le résumé en français suit la version allemande.

Predigt zu Erntedank

Lukas 12,15–21
15 Er sagte aber zu ihnen: Seht euch vor und hütet euch vor jeder Art Habgier! Denn auch dem, der im Überfluss lebt, wächst sein Leben nicht aus dem Besitz zu. 16 Er erzählte ihnen aber ein Gleichnis: Das Land eines reichen Mannes hatte gut getragen. 17 Da dachte er bei sich: Was soll ich tun? Ich habe keinen Raum, wo ich meine Ernte lagern kann. 18 Und er sagte: Das werde ich tun: Ich werde meine Scheunen abbrechen und grössere bauen, und dort werde ich all mein Getreide und meine Vorräte lagern. 19 Dann werde ich zu meiner Seele sagen können: Seele, du hast reichen Vorrat daliegen für viele Jahre. Ruh dich aus, iss, trink, sei fröhlich! 20 Gott aber sagte zu ihm: Du Tor! Noch in dieser Nacht fordert man deine Seele von dir zurück. Was du aber zurückgelegt hast – wem wird es gehören? 21 So geht es dem, der für sich Schätze sammelt und nicht reich ist vor Gott.

Ich geb‘s gerne!“

Den Satz habe ich noch im Ohr. Er weckt Erinnerungen. „Ich geb‘s gerne!“ Es ist 50 Jahre her. Der Klang dieser Worte berührt mich immer noch.

Gottes Güte klingt an. Was der gute Gott hat wachsen lassen, ging durch die Hände dieser gütigen Frau. Ich sehe sie vor mir. Sie lacht, steht da mit grauem Haar, trägt eine lange, weinrot gemusterte Kittelschürze. In der Laube hing, gerahmt unter Glas, von Spinnweben eingesponnen, ein Bibelvers: „Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen.“ (2.Kor. 9,6)

Mich hat das Wort „kärglich“ stark beeindruckt. Ich wusste nicht, was es bedeutet. Später lernte ich, was karg und kärglich bedeutet:

Der jegliche Großzügigkeit einschränkt oder sogar verhindert. Der in uns die Angst schürt, zu kurz zu kommen. Nur mit diesem einen Satz kann man dagegen angehen. „Ich geb’s gerne, Herr hilf mir dabei!“ Dazu ein strahlendes Gesicht und Hände, die sich entgegenstrecken.

Wie herrlich es ist, ernten zu können! Wieder einmal hat die Fülle unserer Gärten und Supermärkte bei uns Einzug gehalten. Wir dürfen schauen, staunen, uns freuen und von Herzen dafür danken. Wir dürfen hören und zuhören. Dann hören wir Gott sprechen: „Ich geb‘s gerne!“

Der Tisch ist gedeckt. Wir können kommen, denn es ist alles bereit. Gott ist der Gastgeber. Viele Menschenhände haben beim Gastmahl mitgeholfen. Was sich im Schmücken der Kirche zeichenhaft abspielte, ereignet sich draußen, auf und im Erdboden.

Letztlich sind wir alle zusammen Gottes Kostgänger. Denn er, der Schöpfer und Erhalter des Lebens, spricht seit Anbeginn der Welt, dass es werden möge. Und es ist wieder geworden: Die Saat keimte, wuchs, blühte, reifte heran, damit wir ernten können, uns bedienen können, um am Ende gerne abgeben.

Ich stelle mir vor den Herrn Lebemann, dem die Äcker ringsum gehören, wie er mit dem Hund durch die Gärten spazieren geht, da ruft sie ihn herein. Schnell kommen sie, die Tante und Herr Lebemann ins Gespräch: Die Ernte fällt gut aus in diesem Jahr. Beide sind sich einig. Und dann erzählt er: Hoffentlich werden die Lagerhallen rechtzeitig fertig, dann kann alles Getreide eingefahren werden, und wenn die Preise wieder anziehen, schließlich gut verkauft werden. Da winkt ein fetter Profit. Herr Lebemann resümiert: Mir schenkt auch keiner was!

Trotzdem fällt sein Fazit irgendwie kärglich aus. Die Tante teilt den Kuchen auf. Sie gibt gerne. „Wissen sie, Herr Lebemann, wenn ich sehe, was in meinem Garten wächst, dann denke ich, dass ich richtig gut versorgt bin. Ich freue mich sehr darüber. Der Blick auf den Teller zeigt, wie gut es mir geht. Der Blick über den Tellerrand hinaus malt allerdings ein anderes Bild. Meine Seele kommt nicht zur Ruhe, wenn ich weiß, dass lediglich der Eigenbedarf gedeckt ist. Das allein macht nicht froh und zufrieden. Soll das mein Leben sein?

Sich mit andern freuen, weil wir geteilt haben, das ist doch was Schönes. Das kann nicht oft genug passieren. „Verzichten können“ macht reich! Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein, spricht Jesus. (Mt 6, 21)

Unsere Kirche gleicht einer Schatzkammer. Die Mittel zum Leben stehen uns zur Verfügung – in Hülle und Fülle. Nur dann werden wir reich sein in unseren Herzen und damit bei Gott, wenn wir teilen. Statt raffen, stiften. Statt stets vorzusorgen, für andere sorgen. Statt engherzig, weitherzig handeln.

Ich geb‘s gerne!“ verwandelt die Sorgen – in Lachfalten. Aus „Geiz ist geil“ wird: „Geben ist Glück!“

Wenn du etwas kannst, dann hilf uns!“ Wie gut kennen wir diese zweifelnde, diese verzweifelte Bitte – auch heute noch.

Was trauen wir Gott in unserer Welt noch zu? Seit Februar 2022, dem Überfall Russlands auf die Ukraine, beten Menschen bei „Friedensgebeten“ um das Ende der Gewalt in dem osteuropäischen Land. Der Krieg wütet weiter – teils schlimmer und brutaler als zuvor.

Hört Gott unsere Gebete nicht? Im Jahr 2023 starben bisher 600 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer. Seit dem Jahr 2014 sind bislang mehr als 26.300 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken. Immer wieder beten wir für die Flüchtlinge – um offene Herzen in unserer Gesellschaft – oder um Frieden und gute Lebensperspektiven in ihrer Heimat, damit es sich lohnt, zu bleiben.

Das gequälte Klima schlägt jetzt zurück. Erdbeben und Überschwemmungen in Nordafrika, Gletscherbruch in Marmolata, Waldbrände nicht nur im Nationalpark Sächsische Schweiz, verheerende Trockenheit in ganz Südeuropa. Wir rufen Gott um Hilfe an.

Hört Gott unsere Gebete nicht? Die Welt brennt. Sozial. Politisch. Wirtschaftlich. Ökologisch.

Trauen wir Gott zu, uns noch zu retten? Was für eine Dramatik. Es ist die Dramatik und Hilflosigkeit unserer Tage.

Noch einmal zurück zur Lebensweisheit der Tante: Was diese Frau allen vererbt hat, ist die Lebensweisheit, dankbar zu sein, verzichten zu können und bedenkenlos Geschenke zu machen.

Gerade am Erntedanktag ist die einzige Antwort auf Gottes Güte: „Wir wollen danken für unser Brot. Wir wollen helfen in aller Not. Wir wollen schaffen, die Kraft gibst du. Wir wollen lieben, Herr hilf dazu!“

AMEN